Mit Geduld und Präzision zum neuen Orgelklang
Seit Januar wird die Orgel in der Propsteikirche renoviert. Die Pfeifen sind inzwischen gereinigt, neu lackiert und wieder an Ort und Stelle. Jetzt werden sie gestimmt und die Orgel wird intoniert. Auch wenn es gut läuft, verschiebt sich die Fertigstellung der Orgel nach hinten.
Auf der Orgelempore am Spieltisch steht ein großer, länglicher Kasten auf den Tasten des obersten Orgel-Manuals. Wie von Geisterhand bewegen sich seine senkrechten Stifte nach unten und drücken die Orgeltasten. Aber es ist keine Geisterhand, sondern Ingo Bubendorfer, der da für Töne sorgt: Der leitende Orgelbauer steht oben, sozusagen „in“ der Orgel und drückt dort die Tasten seines Keyboards. Das ist mit dem „Orgamat“, wie der Kasten korrekt heißt, verkabelt. So kann Bubendorfer die Orgelpfeifen aus der Nähe hören und dann stimmen, ohne nonstop vom Spieltisch in die Orgel klettern zu müssen.
Die Orgelrenovierung läuft jetzt genau ein halbes Jahr, und ist bei der Herkulesaufgabe angelangt, alle rund 5000 Pfeifen stimmen zu müssen. Oder wäre „Sisyphusarbeit“ die passendere Metapher? Denn eine Orgelpfeife zu stimmen hat so viele Facetten, dass es Laien fast unmöglich erscheint, einen sauberen Klang zu erzielen.
Welche Faktoren den Klang beeinflussen, zeigt Ingo Bubendorfer an einer Labialpfeife. Hier tritt die Luft , die von unten in die Pfeife gepresst wird, durch die Kernspalte aus, einen kleinen Schlitz, den man nur bei genauem Hinsehen erkennt. Der Luftstrom trifft auf die Oberkante und erzeugt einen Ton. Durch Verengen oder Weiten der Kernspalte wird der Luftstrom geleitet und der Ton beeinflusst. Oben an der Pfeife ist ein Stück Metall abgerollt: auch diese Stimmrolle verändert je nach Positon den Pfeifenton. Nicht zuletzt lassen sich der innere Kern der Pfeife verschieben und ihre obere und untere Öffnung verengen oder weiten.
Die dafür notwendigen Werkzeuge liegen aufgereiht auf einer Bank und erinnern ein wenig an den Seziertisch eines Chirurgen. Tatsächlich findet sich dort auch ein Cutter, der einem Skalpell ähnelt. Neben auch Laien bekannten Werkzeugen wie Feilen und Hämmern gibt es auch spezielle Instrumente wie Lanzetten, Kernschläger, Intonierdraht sowie eine Stimmglocke und ein Stimmhorn. Ich frage Ingo Bubendorfer, ob man fürs Intonieren besonders gut hören muss – oder ob er gar ein absolutes Gehör hat? Er lacht: „Ich habe ein normales, altersentsprechendes Gehör.“ Aber Geduld müsse man mitbringen, denn so ein großer Klangkörper wie eine Orgel sei immer eine Herausforderung.
Genau genommen finden hier auch zwei verschiedene Dinge statt, nämlich zum einen das Stimmen der Pfeifen, zum anderen das Intonieren der Orgel. Beim Stimmen geht es darum, dass jede Pfeife auf ihren individuellen Ton gestimmt wird, der dann möglichst sauber, also frei von Nebengeräuschen, erklingen soll. Das Intonieren meint das harmonische Zusammenspiel aller gestimmten Pfeifen.
Wie lange das dauert, hängt von vielen Faktoren ab, der Art und Größe der Pfeifen zum Beispiel. Holzpfeifen sind schwieriger zu stimmen als Metallpfeifen, da das Material weniger Fehler verzeiht. Auch die Größe der Pfeifen spielt eine Rolle. Eine 60 cm lange Pfeife lässt sich leichter neu justieren als eine vier Meter hohe, die man jedes Mal aufs Neue erklimmen muss. „Ich sage mal so: Man wünscht sich, etwas mehr als ein Register am Tag zu schaffen“, erklärt Bubendorfer. Doch im Extremfall könne man auch mal 4-5 Stunden für eine einzige Pfeife brauchen. Was ihm hier bei der Augustinuskirchen-Orgel helfe, sei die gute Pfeifensubstanz. „Die letzte Intonation war richtig, richtig gut“, freut er sich, und davon profitiere er beim jetzigen Stimmen und Intonieren.
Mitte Juni waren 28 von 72 Registern fertig. Doch der avisierte Termin für die Wiedereröffnung der Orgel zum Augustinusfest im August lässt sich leider trotzdem nicht halten – es wird voraussichtlich Oktober. Eine kleine Kostprobe des neuen Orgelklangs auf den bereits fertigen Registern lässt allerdings erahnen, dass sich das Warten lohnt.
Text & Fotos: J.L. Gutmann, Propsteipfarrei St. Augustinus
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