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Bistum

Zwischen Halbzeit und Heiligtum: Eine Suche nach Fußballgöttern im Ruhrgebiet

Es gibt offensichtliche Parallelen wie deutliche Unterschiede zwischen Religionen und der vermeintlichen „Ersatzreligion” Fußball. Darüber haben am Mittwoch, 20. März, der Essener Generalvikar und Schalke-Fan Klaus Pfeffer, der Seelsorger an der Dortmunder „BVB-Gründerkirche“ Karsten Haug, die Bochumer Religionswissenschaftlerin Sarah Rautert und der Vorsitzende des jüdischen Fußballvereins TUS Makkabi Bochum diskutiert.

  • Katholische Kirche engagiert sich in der Seelsorge für Fußballfans
  • für viele Menschen hat Fußball heute eine Bedeutung, wie sie früher die Kirchen hatten
  • Fußball nutzt Macht und Einfluss „nicht immer für das Gute“

Sie pilgern beide in ihre Tempel, kennen Götter, Heilige und Teufel, singen laustarke Choräle und schicken stille Stoßgebete in einen Himmel, der mal blau-weiß, schwarz-gelb, grün oder rot ist. Gerade im Ruhrgebiet gibt es so viele augenfällige Parallelen zwischen Religion und Fußball, dass das Deutsche Fußballmuseum in Dortmund eine multireligiöse Mannschaft mit unterschiedlichen Fußball-Leidenschaften eingeladen hat, um gut 80 Tage vor der Europameisterschaft gemeinsam über „Fußballgott und Fußballgötter“ zu sprechen.

Er könne zwar in seiner Muttersprache kein Wort für „Fußballgott“ finden, sagte der gebürtige Ukrainer und Vorsitzende des jüdischen Fußballvereins TUS Makkabi Bochum, Leonid Chraga. „Aber wenn’s bei uns spielerisch nicht gut läuft, versuchen wir schon, manches auf den Rabbiner zu schieben, weil der vielleicht nicht genug gebetet hat“, sagt Chraga mit einem Schmunzeln. Der Essener Generalvikar Klaus Pfeffer mag indes den lieben (Fußball-)Gott nicht dafür verantwortlich machen, falls das mit Schalkes Verbleib in der zweiten Bundesliga doch noch schiefgehen sollte: „Das haben dann manche Vereinstreter in der Vergangenheit verbockt.“ Und mit Blick auf Dortmund erinnert Karsten Haug, BVB-Fan und Seelsorger in der „BVB-Gründerkirche“ an den „Katastrophentag“, als der Verein im vergangenen Jahr die Meisterschaft vergeigte. Er betont aber auch: „dafür mache ich nicht Gott verantwortlich“, sondern zitiert lieber die Trainer-Legende Jürgen Klopp: „Das Tor müssen wir schon selbst treffen.“

Gott ist da, aber nicht als Fußball-Gott

Gott sei da, wenn sich Menschen zum Fußball treffen, sagt Haug – nur eben nicht als Fußball-Gott. Nachdem der BVB am Pfingstsamstag die Meisterschaft verpasst hatte, sei er am Sonntag nicht in einen Pfingstgottesdienst, sondern zum Borsigplatz gegangen, erzählt Haug. „Da standen rund 200 BVB-Fans und trauerten.“ Er sei von Gruppe zu Gruppe gegangen, habe mit den Leuten gesprochen und viele erstaunte Rückmeldungen erhalten, dass er als Seelsorger an diesem Morgen auch auf dem Borsigplatz sei. „Dann bin ich mit rund 50 Fans in die Kirche gegangen und wir haben Kerzen angezündet“, berichtet Haug.

Ähnliche Erfahrungen macht in Gelsenkirchen das Team der Offenen Kirche Schalke, das die St.-Joseph-Kirche auf der „Schalker Meile“ vor jedem Heimspiel für die Fans öffnet, berichtet Seelsorgerin Christiane Rother. „Da kommen Leute, die zünden vor jedem Spiel drei Kerzen an – für drei Punkte im Stadion.“ Und dann kommen Fans wie die Männergruppe vor einigen Jahren: „Die sagten, dass sie schon ganz oft an unserer Kirche vorbeigefahren sind. Dann sind sie das erste Mal zu uns reingekommen, weil kurz zuvor einer aus ihrer Clique gestorben war.“

„Kirche und Fußball können voneinander profitieren.“

„Kirche und Fußball können durchaus voneinander profitieren“, sagt die Religionswissenschaftlerin Sarah Rautert vom Centrum für Religionswissenschaftliche Studien (CERES) an der Bochumer Ruhr-Uni. Während der Fußball vielen Menschen zum Beispiel durch große Gruppenevents und eine gemeinsame Geschichte Identität stifte, wie dies vielleicht früher stärker die Kirchen getan hätten, sei gerade der Gedanke der Seelsorge, also eines Dienstes an den Menschen, beim Fußball kaum ausgeprägt. Generalvikar Pfeffer warnte indes davor, dass sich die Kirchen nun – womöglich in der Hoffnung auf volle Gotteshäuser – „in den Fußball einschleichen oder gemeinsamen Gründungsmythen wie in Dortmund oder Schalke erliegen“. Wenn sich die Kirchen im Fußball engagierten, dann, „weil ganz viele unserer Leute beim Fußball sind – und weil wir für den einen oder anderen einen seelsorglichen Dienst tun können.“

Göttliche Momente im Stadion

Für Haug gibt es indes nicht nur in der Kirche, sondern gerade auch im Stadion göttliche Momente: „2016, beim Spiel gegen Mainz, ist ein Fan während des Spiels gestorben.“ Als sich das in Windeseile im Stadion herumsprach, „war es erst eine Zeitlang ganz still im Stadion, bis dann am Ende alle 80.000 – auch die Mainzer – gemeinsam ,You’ll Never Walk Alone‘ angestimmt haben. Wenn das nicht göttlich ist, weiß ich es nicht“, sagt Haug.

Fußball habe durchaus das Zeug zu einer „diesseits gerichteten Ersatzreligion“, sagt Religionswissenschaftlerin Rautert. Auch Generalvikar Pfeffer stimmt ihr zu: „Die klassischen Religionen verschwinden in unserer Region. Das heißt aber nicht, dass die Religiosität verschwindet.“ Rautert verweist auf die große Relevanz des Fußballs, gepaart mit dem Bedeutungsverlust der Kirchen könne man schon überlegen, „ob es da eine Art Umkehr der Bedeutung gibt“. Doch wenn dem so ist, dass heute der Fußball im Leben vieler Menschen den Platz eingenommen hat, den in früheren Generationen der Glaube hatte, dann „haben wir Kirchen und Synagogen vielleicht auch ein Stück Verantwortung abgegeben“. Die klassischen Religionen hätten ihre Bedeutung „an falsche Religionen, an falsche Vorbilder“ abgegeben. „Fußball hat zu viel Macht und nutzt sie zu selten für das Gute“, so Chraga.

Generalvikar Pfeffer räumt ein: „Wir müssen uns schon die Frage gefallen lassen: Was haben wir über Jahrzehnte versäumt, die Inhalte unseres Glaubens so zu vermitteln, dass wir diese den heute lebenden Menschen vermitteln können.“ Dies gehe „bis hin zur Frage, wie wir unsere Rituale feiern. Das kann der Fußball mittlerweile oft besser“. Gleichzeitig sieht Pfeffer den Einfluss des Fußballs mit Sorge – nicht nur auf individuelle Menschen, sondern auf ganze Regionen: „Wenn so ein Verein am Boden liegt, wird das dramatisch. Sollte Schalke jetzt absteigen und dann nicht überlebensfähig sein, hat das Auswirkungen auf Gelsenkirchen und weit darüber hinaus.“

Bei allen Parallelen sieht Rautert jedoch auch nach wie vor große Unterschiede zwischen dem Angebot der Kirchen und der möglichen „Ersatzreligion Fußball“. So gäben die Kirchen Antworten auf die wirklich existenziellen Fragen von Leben und Tod, „Fußball ist da schon deutlich mehr Entertainment“. Aber eben auch mehr Emotionalität, mahnt ein Zuhörer, der sowohl in Gotteshäusern wie in Bundesligastadien regelmäßig zu Gast ist: „Wenn ich im Stadion bin, bin ich mit dem Herzen dabei – das ist mir im Hochamt noch nie passiert.“

Text: Thomas Rünker, Bistum Essen


INFOS:
St. Joseph und Hl. Dreifaltigkeit – die Fußballkirchen im Ruhrgebiet

Die eine ist blau-weiß, die andere ist schwarz-gelb – und beide sind katholisch: Die Kirche St. Joseph in Gelsenkirchen-Schalke und die Dreifaltigkeitskirche nahe des Dortmunder Borsigplatzes sind ehemalige Gemeindekirchen, in denen heute der Fußball eine wichtige Rolle spielt. In St. Joseph zieht neben üppiger blau-weißer Deko vor allem das vermutlich weltweit einzigartige Kirchenfenster eines fußballspielenden Heiligen vor jedem Heimspiel zahlreiche Fans in das Gotteshaus. In Hl. Dreifaltigkeit ist es die Geschichte, die die Kirche zur „BVB-Gründerkirche“ macht: Aus der Jünglingssodalität „Dreifaltigkeit“ entstand – anfangs im Konflikt mit den örtlichen Seelsorgern – der Ballspielverein Borussia 09. Heute sind Kirche und Verein längst versöhnt, und es gibt Gottesdienste zum Saisonauftakt oder zum Vereinsgeburtstag.

Der Abend „Fußballgott und Fußballgötter“
Zum Diskussionsabend über „Fußballgott und Fußballgötter“ hatte das Deutsche Fußballmuseum gemeinsam mit dem Essener Ruhrmuseum eingeladen, in dem noch bis 20. Mai die Fotoausstellung „Mythos und Moderne“ über den Ruhrgebietsfußball läuft. Außerdem war das Centrum für Religionswissenschaftliche Studien (CERES) an der Bochumer Ruhr-Uni Kooperationspartner der Diskussionsrunde, die von Deutschlandfunk-Redakteur Matthias Friebe moderiert wurde.

Diskussionsrunde im Fußballmuseum
Mitglieder des Teams Offene Kirche Schalke vor dem Fußballmuseum

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